Seit etwa zwei Jahren sind Porträtbücher total angesagt. Erst gab es welche nur über Frauen, dann über Männer, dann über Männer und Frauen – und neuerdings auch über Kinder und Jugendliche. Vor einem Jahr habe ich schon mal einige dieser Titel vorgestellt (hier geht es zu der Seite 👉 Porträtbücher), aber seitdem sind viele neue dazu gekommen – so wie diese vier. Ich habe sie ausgewählt, weil sie mir alle gut gefallen und alle etwas besonderes haben. Eine ausgefallene Idee („Powerfrauen“), eine besondere Optik („Herstory“), sie beziehen sich auf Europa („Frauenpower made in Europe“) oder sie porträtieren Jugendliche, die nicht berühmt sind, aber bereits eine Haltung haben, zu der sie auch stehen („Stark – Rebellinnen von heute“).
Titel: Frauenpower made in Europe
Autorin: Petra Bachmann
Verlag: arsEdition
Preis: 16 Euro
Erschienen: 2019
Wer wird vorgestellt? 38 Frauen aus Europa, darunter Jeanne d’Arc, Rosa Luxemburg, Coco Chanel, Astrid Lindgren, Sophie Scholl, Angela Merkel und Steffi Graf. Dazu gibt es Übersichtsartikel zu Themen wie „Frauen in Wissenschaft und Technik“, „Frauen in Kunst, Musik und Literatur“, „Frauen in Politik und Wirtschaft“, „Frauen im Sport“ und „Die junge Generation“
Nach welchen Kriterien sind die Frauen ausgewählt? Laut Einleitung haben sie alle „Mut, Fantasie und Durchhaltevermögen“ bewiesen. Sie kommen aus verschiedenen Ländern und Bereichen. Manche hatten Unterstützung, andere erkämpften sich alleine ihren Weg.
Aufbau: Zu jeder Frau gibt es eine oder zwei Doppelseiten. Darauf findet sich neben der jeweiligen Lebensgeschichte und einem Foto (oder einem zeitgenössischen Porträt) auch eine Zeitleiste mit den Eckdaten und ein Zitat. Das hat mir gut gefallen.
Wie lang sind die Texte? Zwei bis drei Seiten, die Schrift ist relativ groß
Wie gut lassen sich die Texte lesen? Ganz gut. Ich fand sie aber nicht so spannend. Es wird ziemlich nüchtern beschrieben, was die Frauen geleistet bzw. erreicht haben. Nicht mehr und nicht weniger.
Wie ansprechend ist das Cover? Es macht schon Lust, das Buch anzugucken. Weckt aber auch Erwartungen, die das Buch nicht immer unbedingt hält.
Wie sind die Illustrationen?Ansprechend, oft pastellfarben, gerne wird mit dem Frauenzeichen gespielt. Es ist zum Beispiel auf einer Rakete zu sehen, auf Büchern oder auf einem Bizeps. Das erschien mir manchmal ein bisschen übertrieben. Das Frauenzeichen ist insofern richtig, als das es in dem Buch ja um Frauen geht, aber nur wenige Frauen in dem Buch haben sich auch generell für Frauenbelange eingesetzt.
An wen richtet sich das Buch? An Mädchen und Jungen ab ca. 10 Jahren
Besonderheiten? Alle vorgestellten Frauen wurden in Europa geboren
Kritikpunkte: Unter „Die junge Generation“ hätte ich mir Infos über junge Frauen gewünscht. Alle die dort vorgestellt werden, sind aber auch schon um die 30 Jahre alt. Die Auswahl der Personen erscheint mir auch hier etwas beliebig.
Für wen geeignet? An alle, die Infos und Fakten zu berühmten europäischenFrauen suchen.
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️
Titel: „Powerfrauen – Was Beyoncé mit Michelle Obama und Anne Frank verbindet“
Autorin: Kate Hodges
Verlag: wbg Theiss
Preis: 26 Euro
Erschienen: 2019
Wer wird vorgestellt? Sage und schreibe 84 Frauen, die in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten gelebt haben. Sehr viele davon sind aus den USA und aus Großbritannien. Aus Deutschland sind nur vier dabei. Das Spektrum ist sehr weit: Komponistinnen und Malerinnen werden ebenso porträtiert wie Bürgerrechtlerinnen, Schauspielerinnen, Politikerinnen, Modedesignerinnen, Sängerinnen. Und viele mehr.
Nach welchen Kriterien sind die Frauen ausgewählt? Wie die Autorin in ihrer Einleitung schreibt, war es ihr wichtig zu zeigen, wie die Frauen untereinander verbunden waren – entweder, in dem sie sich wirklich trafen oder einander Briefe schrieben, in Texten, Bildern oder ihrer Kleiderwahl aufeinander Bezug nahmen oder aber, indem sie sich von anderen inspirieren ließen. Frauen, bei denen dieser Bezug fehlte, hat sie nicht mit aufgenommen, wie zum Bespiel die chinesische Piratin Ching Shih, die sie (wie sie in der Einleitung schreibt) auch gerne porträtiert hätte.
Aufbau: Es gibt meistens ein großes, gezeichnetes Porträtbild über eine, manchmal auch zwei Seiten. Daneben gibt es kleine Illustrationen von Frauen, zu denen die Porträtierte eine Verbindung hatte (welche Art von Verbindung steht auch dabei).
Wie lang sind die Texte? Ein bis zwei Seiten, immer über drei bis vier Seiten verteilt. Das Layout ist eher luftig, mit vielen Bildern
Wie gut lassen sich die Texte lesen? Inhaltlich sind die Texte sehr interessant. Auch die Verbindungen fand ich spannend. Leider ist die Schrift sehr klein.
Wie ansprechend ist das Cover? Türkis mit pink, dazu die gezeichneten Porträts. Ich finde es nice.
Wie sind die Illustrationen? Richtig schön und auch abwechslungsreich. Das Buch ist auch sehr bunt. Auf keiner Seite ist die Grundfarbe weiß, sondern immer rosa, türkis, lila, hellorange…
An wen richtet sich das Buch? An Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren. Auch für Erwachsene interessant.
Besonderheiten? Das Buch ist wirklich DICK und enthält viele Informationen. Im Inhaltsverzeichnis wird schon gleich darauf hingewiesen, wann die Frauen gelebt haben und in welchem Land, das fand ich gut. Im Vordergrund des Buches steht das Thema Vernetzung. Wie oben bereits geschrieben war es der Autorin wichtig, zu zeigen, wie die Frauen untereinander verbunden waren (oder sind). Entweder physisch (sie trafen sich im wirklichen Leben), durch Briefe oder indem sie in ihrem Handeln und/ oder Denken aufeinander Bezug nahmen. Durch dünne Striche, die ein bisschen wie Fäden aussehen, kann man diese Verbindungen durch das ganze Buch verfolgen.
Kritikpunkte: Die Schrift ist soooooo klein. Das fand ich beim Lesen ein bisschen anstrengend… Die Idee, die Vernetzung aufzuzeigen, fand ich cool. Immerhin sind Männer schon immer stark untereinander vernetzt gewesen. Manche von diesen vorgestellten Vernetzungen im Buch haben mich dann aber nicht so überzeugt. Zum Beispiel, weil die Frauen nur im gleichen Tanzlokal aufgetreten waren, aber zu unterschiedlichen Zeiten. Bei anderen sind die Verbindungen klarer, so traf sich Königin Victoria heimlich mit der radikalen Autorin Harriet Beecher Stowe. Und Malala Yousafzai (das afghanische Mädchen, dem Taliban in den Kopf geschossen hatten) bezeichnete sich als Feministin, nachdem sie eine Rede der Schauspielerin Emma Thompson gehört hatte. Wen das interessiert, der kann die Fäden durch das ganze Buch verfolgen und sich die Verbindungen angucken. Diese werden auch im Inhaltsverzeichnis schon aufgezeigt, was einerseits cool ist, andererseits das Inhaltsverzeichnis auch etwas unübersichtlich macht. Es ist nicht so leicht, sich einen Überblick zu verschaffen, wer darin überhaupt vorgestellt wird. Die Vernetzungs-Idee fand ich einerseits interessant, andererseits aber manchmal aber auch ein bisschen verwirrend. Man kann es aber auch ignorieren, denn es ist zum Glück nicht so gestaltet, dass es sich aufdrängt.
Für wen geeignet? An alle, die sich umfassend über starke und erfolgreiche Frauen informieren wollen und die auch Informationen über Frauen suchen, die nicht schon überall anders vorgestellt wurden.
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️ bis ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
Titel: Herstory – 50 starke Frauen und Mädchen, die Geschichte schrieben
Autorin: Katherine Halligan
Illustratorin: Sarah Walsh
Verlag: Sauerländer
Preis: 22 Euro
Erschienen: 2019
Wer wird vorgestellt? Insgesamt 50 beeindruckende Mädchen und Frauen aus aller Welt, die sich den ihnen aufgezwungenen Regeln nicht unterwerfen wollten, darunter Malerinnen, Schriftstellerinnen, Tänzerinnen, Anführerinnen, Medizinerinnen, Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen. Manche davon haben Auszeichnungen erhalten, andere bis zu ihrem Lebensende oder bis heute nicht die kleinste Anerkennung bekommen. Alle haben Herausforderungen angenommen und Gefahren getrotzt. Manche haben sogar für ihre Ideale ihr Leben geopfert.
Nach welchen Kriterien sind die Leute ausgewählt? Es sind die Geschichten von Mädchen und Frauen, die Außergewöhnliches geleistet und Herausforderungen angenommen haben. Sie alle glaubten, dass sie die Welt aufrütteln mussten.
Aufbau: Zu jeder Frau gibt es eine Doppelseite. Das finde ich sehr übersichtlich. Das Buch ist außerdem thematisch geordnet, was es auch leicht macht, Porträts zu finden, die eine*n wirklich interessieren. Der Text ist relativ umfangreich und wird bei jeder Frau durch Illustrationen, ein Zitat und manchmal auch Fotos ergänzt.
Wie lang sind die Texte? Nicht ganz zwei Seiten (wegen der Illus). Da das Buch ein relativ großes Format hat, ist der Text trotzdem relativ umfangreich.
Wie gut lassen sich die Texte lesen? Die Texte sind gut lesbar und interessant.
Wie ansprechend ist das Cover? Ich finde es einfach MEGA! Die Illustrationen, der Goldprägedruck… So schön! Der Titel ist zur einen Hälfte Neonfarben (das HER) und zur anderen (das STORY) durch den Prägedruck Roségold. Auch verschiedene einzelne Elemente (Kette, Buch, der Propeller eines Flugzeugs, die Flügel eines Schmetterlings) sind goldfarben unterlegt. Ergänzt wird das Cover durch elf Köpfe.
Wie sind die Illustrationen? Schön und abwechslungsreich. Auf den Seiten sind neben Illustrationen (von den Frauen, um die es geht, von Gegenständen, die für sie wichtig waren, von Landkarten und anderem mehr) manchmal auch Fotos zu sehen.
An wen richtet sich das Buch? An Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die Lust haben, etwas über starke Mädchen und Frauen zu erfahren und sich inspirieren zu lassen.
Besonderheiten? Das Format ist echt auffällig: Das Buch ist richtig groß und auch ziemlich breit. Das gefällt mir. Man hat richtig was zum Angucken und Schmökern! Cool finde ich auch den Titel: HERSTORY. Mir war vorher noch nie aufgefallen, wofür das englische Wort für Geschichte (HISTORY also his story) eigentlich steht. Durch dieses Buch ist mir das erst bewusst geworden. Cooler Titel !!! Das Buch ist sehr übersichtlich, was es wohltuend von vielen anderen Porträtbüchern abhebt. So sind die Porträts thematisch sortiert, die Kategorien heißen zum Beispiel „Vorstellen und erschaffen“, „Helfen & Heilen“ oder “Denken & Lösen“ und sind durch farbige Streifen auf den Seiten deutlich markiert. Pro Frau gibt es immer eine Doppelseite, das macht es auch übersichtlich.
Kritikpunkte: Eigentlich alles fein. Nur über eine Sache bin ich gestolpert: Als ich den Text über Frida Kahlo las, fiel mir auf, dass drei wichtige Aspekte gar nicht erwähnt werden: Das ist zum einen, dass Frida gerne Männerkleidung trug (was damals sehr ungewöhnlich war) und zweitens, dass sie Liebesbeziehungen zu Männern UND Frauen hatte. Außerdem gilt Frida Kahlo als Ikone des Feminismus, auch dieser Hinweis fehlt. All das lässt sich übrigens super in „Powerfrauen“ (s.o.) nachlesen. Ich habe mich echt gewundert, dass Friedas queerness in „Herstory“einfach herausgelassen worden ist. Klar, das Buch richtet sich vor allem an Kinder. Aber trotzdem – das sollte doch kein Problem sein! Ich habe bei den anderen Porträts nicht überprüft, ob dort alle wichtigen Punkte angesprochen werden. Vielleicht ist es ein Einzelfall. Ein wenig misstrauisch hat mich das aber schon gemacht. Darum leider auch keine fünf Sterne…
Für wen geeignet? Für alle!
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️
Titel: Stark – Rebellinnen von heute
Autorin: Kathrin Köller
Illustratorin: Anusch Thielbeer
Verlag: Gabriel
Preis: 15 Euro
Erschienen: 2020
Wer wird vorgestellt? Insgesamt 12 Mädchen zwischen 12 und 19 Jahren. Sie sind nicht berühmt, entsprechen aber auch nicht dem Mainstream.
Nach welchen Kriterien sind die Personen ausgewählt? Alle haben Überzeugungen, zu denen sie stehen. Franca und Taraneh zum Beispiel sind beste Freundinnen, engagieren sich bei „Fridays for Future“ und machen sich Gedanken über Genderrollen. Nadjeschda will sich von Armut nicht ihr Leben diktieren lassen. Julian Hayley ist trans* und kämpt dafür, in der Schule als Mädchen akzeptiert zu werden. Noa ist Jüdin, liebt Kunst, hat ein Buch geschrieben und geht keinem Streit aus dem Weg. Lotte dagegen ist erst 17, lebt aber ganz alleine in Berlin.
Aufbau: Zu jedem Mädchen gibt es ein gemaltes Porträt (eine Seite) und einen Text über vier Seiten, in dem sie vorgestellt wird und auch selbst zu Wort kommt. Man erfährt, wer sie ist, ihre Hobbys, worüber sie sich Gedanken macht – und bekommt eine Ahnung, warum sie für dieses Buch ausgewählt worden ist. Dann gibt es über zwei Seiten etwas Selbstgeschriebenes von der jeweils Porträtierten. Zum Beispiel einen Auszug aus einer Geschichte, ein paar Strophen eines selbstverfassten Liedes oder das Rezept von ihrem Lieblingsessen. In einem kleinen Kasten wird dann zum Abschluss noch mal zusammengefasst, wer die Person ist und was ihr wichtig ist.
Wie lang sind die Texte? Vier Seiten (bzw. dreieinhalb).
Wie gut lassen sich die Texte lesen? Die Texte sind sehr schön geschrieben. Man hat das Gefühl, die Person wirklich ein bisschen kennenzulernen.
Wie ansprechend ist das Cover? Auf dem Cover ist eines der Mädchen zu sehen. Es ist eine Zeichnung, die aber sehr realistisch wirkt. Yamuna, die sich gegen Rassismus engagiert, guckt die Betrachterin/ den Betrachter ein bisschen abwartend an und wirkt dabei echt cool, aber auch freundlich. Das macht neugierig.
Wie sind die Illustrationen? Ich finde sie sehr schön.
An wen richtet sich das Buch? An Jugendliche und Erwachsene
Besonderheiten? Wenige, aber ausführliche Porträts. Alle Personen sind unter 20 Jahre alt, nicht berühmt und leben heute.
Kritikpunkte: Keine. Ich fand es interessant, die Porträts zu lesen. Man erfährt viel. Die Bilder sind sehr schön.
Für wen geeignet? Für Lehrer*innen, Sozialpädagog*innen und andere Erwachsene, die sich für Jugendliche interessieren. Und für Jugendliche, die sich vielleicht auch viele Gedanken machen und gerne etwas über andere erfahren möchten, die so ähnlich ticken wie sie selbst. Ist ja auch schön, wenn man das Gefühl hat, nicht allein zu sein. Vielleicht sind die Porträts für manche auch eine Inspiration, selbst etwas aktiver zu werden.
Bewertung: ⭐️⭐️⭐️⭐️ bis ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
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Ausführlicher besprochen habe ich dieses Porträtbuch, in dem Mütter aus veschiedenen Ländern vorgestellt werden: Mama Superstar – Elf Porträts über Mut, bedingungslose Liebe und kulturelle Vielfalt
Angestossen wurde der Portträtbuchtrend übrigens durch das Buch „Good Night Stories for Regel Girls“. Mit Francesca Cavallo, einer der beiden Autorinnen, konnte ich im letzten Jahr ein Interview führen: „Ich war immer ein Rebel Girl“