„Wir haben eine dritte Stimme gefunden“

Tania Witte und Antje Wagner sind definitiv eines der coolsten und besten Schreib-Duos, die es aktuell in der deutschen Buchszene gibt. Darum hatte ich mich auch mega auf ein Treffen mit den beiden gefreut.  Eigentlich wollten wir Ende Juni zur großen Premierenlesung von „WILD – Sie hören Dich denken“ im Berliner Grunewald zusammenkommen. Doch daraus wurde nichts: Wegen der Corona-Pandemie wurde die Veranstaltung abgesagt. Also habe ich die beiden Autorinnen per EMAIL befragt – vor allem Antje, denn mit Tania hatte ich bereits Ende November bei einem Treffen über ihre Zusammenarbeit gesprochen. Vielleicht war die Absage aber auch ganz gut: Mit Tania alleine hatte ich schon drei Stunden lang gequatscht (natürlich nicht nur über Ella Blix). Wer weiß, wie lange ein Treffen zu dritt gedauert hätte, schliesslich gibt es so viele spannende Themen … ☺️ 🙈  

Viel Spaß beim Lesen!

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Antje Wagner und Tania Witte haben unter dem offenen Pseudonym Ella Blix bereits zwei Jugendbücher veröffentlicht.

Antje, warum hast Du Tania damals gefragt, ob sie mit Dir zusammenarbeiten möchte? Antje: Wir kannten uns als Leserinnen unserer Bücher und ich hab Tanias Art zu schreiben geliebt. Als ich 2016 dabei war, meine Anthologie „Unicorns don’t swim“ zusammenzustellen, habe ich sie gefragt, ob sie eine Geschichte beitragen würde.

Tania schrieb „Metamorphose“, eine Geschichte in deren Mittelpunkt ein Mädchen steht, dessen Mutter verschwunden ist – Alina. Antje: Genau, und diese Geschichte hat mich umgehauen und zum Weinen gebracht. Wir haben, während wir zusammen an „Metamorphose“ gearbeitet haben (Tania als Autorin, ich als Lektorin), gemerkt, dass wir toll miteinander kommunizieren können. Als die Geschichte schließlich stand, war ich so begeistert, dass ich Tania fragte, ob sie sich vorstellen könne, etwas Größeres daraus zu machen, einen Jugendroman. Und im nächsten Atemzug: „Zusammen mit mir?“

Tania, was hast Du da gedacht? Tania: Ich hab erst mal gezögert. Für mich war die Geschichte fertig. Aber ich mochte Antjes Art zu schreiben und sie mochte meine offensichtlich auch. Also haben wir aus Spaß angefangen, ein paar Ideen auf den Tisch zu werfen.

Und das wurde dann „Der Schein“? Tania: Ja. Es war schon eine Herausforderung für mich, ein Jugendbuch zu schreiben, ich kam ja aus dem Erwachsenenbereich. Aber ich hatte das Glück, eine wunderbare Co-Autorin zu haben, die gesagt hat: „Du solltest Jugendbücher machen! Jugendbücher sind toll! Du kannst das!“ Und dann haben wir tatsächlich gemeinsam ein Buch geschrieben und dabei fast alles verändert. Aus meiner Ursprungsgeschichte sind nur Alina und das Gefühl des Verlustes geblieben. Das Manuskript haben wir dann unserer Agentin gegeben und sind bei Arena gelandet.

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Foto: Carina Nitsche

Tania Witte wurde in Trier geboren. Sie studierte Medienpädagogik und Erwachsenenbildung und arbeitete als Journalistin, Redakteurin und Lektorin. Neben hier Arbeit als Autorin gibt Tania Workshops im Kreativen Schreiben und macht Spoken Word Performances. Bevor sie Jugendbücher schrieb – solo und als Teil von Ella Blix – veröffentlichte Tania drei Bücher für Erwachsene. Sie gewann mehrere Preise und Stipendien, u.a. erhielt sie 2019 den angesehenen „Mannheimer Feuergriffel“. Tania lebt in Berlin und im niederländischen Den Haag.

Antje, was schätzt Du an Tania? Antje: Zuallererst – Tania ist eine grandiose Autorin. Ich mochte schon immer die Sprachschönheit ihrer Bücher, den Witz, die Feinfühligkeit bei der Gestaltung von Figuren, die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie exakt die richtigen Details findet und aufschreibt, die dann in der Lage sind, ein ganzes Leben vor einem auszubreiten. Das ist groß. Ich mag auch ihre Themen, die Gedanken und wie sie Konflikte löst. Und nicht zuletzt: Tania hat – so wie auch ich – ein Faible für Überraschungen. Nur sieht das bei uns verschieden aus: Tania schafft Überraschungen innerhalb ihrer Figurenentwicklungen. Die Entwicklungen der Charaktere, ihre Hintergrundgeheimnisse, das alles ist nicht vorhersehbar und mal witzig-skurril, mal berührend-traurig. Hinzukommt: Tania ist irre produktiv, diszipliniert und hat hohe literarische Ansprüche an den eigenen Text. All das bewundere und schätze ich sehr.

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Foto: Carina Nitsche

Antje Wagner wurde in Lutherstadt Wittenberg (damals noch DDR) geboren und wuchs in Wartenburg auf. Sie studierte deutsche und amerikanische Literaturwissenschaften und veröffentlichte zahlreiche Bücher für Jugendliche und Erwachsene. Für ihre Arbeiten erhielt sie viele Auszeichnungen, u.a. den Mannheimer Feuergriffel. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung nahm sie 2012 in den Kanon der besten 20 deutschsprachigen Schriftsteller*innen unter 40 Jahren auf. Antje lebt in Hildesheim (Niedersachsen) und im Sommer in Mecklenburg.

Und Du,Tania, was schätzt Du an Antje? Tania: Ganz viel! Antje bringt mich zum Beispiel dazu, mal von der Linie zu hüpfen und in eine ganz andere Richtung zu denken. Das ist toll. Und ich mag ihre Detailverliebtheit, die Poesie ihrer Sprache und ihre große Liebe zu Meta-, Meta- und Metaebenen. Sie ist halt auch Literaturwissenschaftlerin. Und ich mag, dass ihr nichts zu strange, nichts zu verrückt ist. Vor allem aber ist sie der kollegialste Mensch, den ich kenne. Sie teilt ihre Kontakte, unterstützt andere Autor*innen – junge wie ältere. Antje ist ein wahnsinnig offener, warmherziger, impulsiver Mensch. Und manchmal auch etwas nostalgisch. Manchmal schreibt sie so etwas wie Video oder Kassette. Dann muss ich immer ein bisschen lachen. Und sie lacht einfach mit – das ist schön.

Seid Ihr auch privat befreundet? Tania: Mittlerweile ja. Das ergibt sich, wenn man so dicht miteinander arbeitet. Und sie ist nicht nur eine tolle Kollegin, sie ist auch eine ganz tolle Freundin, und wir haben uns auch noch nie gestritten. Manchmal gibt es so ein bisschen Schärfe, wenn ich gerade wieder total panisch bin, weil ich denke, irgendwelche Deadlines werden nicht eingehalten oder irgendwas. Ich neige dann dazu, ein bisschen höher zu drehen und Antje holt mich dann immer runter. Und das ist sehr schön. Wir diskutieren – aber streiten tun wir eigentlich nie. Wir waren uns bisher erst ein einziges Mal nicht einig. Die Frage hat dann der Verlag entschieden.

Worum ging es? Tania: Um die Frage, ob „Wild“ ein Inhaltsverzeichnis haben sollte oder nicht …

Was macht Eure Zusammenarbeit so besonders? Antje: Wir haben in der Zusammenarbeit eine dritte Stimme gefunden. Ella Blix schreibt anders als Tania Witte und anderes als Antje Wagner. Wir haben unsere Fähigkeiten miteinander verschränkt, gegenseitig an unseren jeweiligen Eigenheiten gearbeitet und sie dadurch eben auch verändert – und herauskam eine neue Autorin, ein eigener Ton. Für uns beide ein kleines Wunder. 🙂

Du sagst, Ihr verschränkt Eure Fähigkeiten. Inwiefern ergänzt Ihr Euch? Antje: Wir haben viel Gemeinsames. So schätzen wir beide die literarische Kraft von Sprache, also die Sprache als künstlerisches Material, nicht nur als Material, um Informationen zu übertragen. Ich glaube, wenn wir darin verschieden wären, käme für uns beide keine beglückende Zusammenarbeit zustande. Und wir haben einiges Unterschiedliches – so komme ich ja eher aus dem Mysterybereich, Tania aus dem realistischen. Tania macht oft Tango mit Worten, ich lieb die düstere Atmosphäre und so weiter. Und wir haben festgestellt, dass es sich einfach wunderbar verschränkt. Dass das Gemeinsame zur Stärkung des Texts beiträgt und das Unterschiedliche ihn erweitert.

Tania: Auch beim Arbeiten ergänzen wir uns super. Ich glaube, ich pushe sie ein bisschen, was Zeit angeht, denn Antje arbeitet langsam, aber präzise. Ich bin dagegen superschnell und dafür lasse ich hin und wieder mal was rechts oder links runterfallen. Antje hilft mir sehr dabei, mir zu erlauben, stärker ins Detail zu gehen. Oder anders gesagt: Antje intensiviert Dinge, die ich manchmal ein bisschen übergehe. Und ich vereinfache Dinge, in denen Antje sich verliert.

 

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Erstling: „Der Schein“ erschien 2018 beim Arena-Verlag

Wieso schreibt Ihr unter dem Namen Ella Blix? Tania: Naja, wir heißen Wagner und Witte. Das heißt, man steht im Regal immer ganz unten rechts … Das ist ein bisschen frustrierend. Hinzu kam, dass Antje im Jugendbereich schon gearbeitet hatte, ich dort aber noch völlig neu war. Darum haben wir gedacht, wie suchen uns einen neuen Namen, damit wir auf Augenhöhe sind und gemeinsam bei Null anfangen. Und der Verlag hat diese Idee sehr unterstützt. Es hat dann aber eine Weile gedauert, bis wir den Namen „Ella Blix“ gefunden haben.

Wie läuft der Arbeitsprozess bei Euch genau ab? Tania: Zunächst plotten wir. Das heißt, wir schreiben zu jedem Kapitel in einigen kurzen Sätzen auf, was da passieren soll. Und dann fängt eine von uns an, zu schreiben. Wenn sie fertig ist, legt sie das Geschriebene in die Dropbox. Dann macht die andere das auf und schreibt einfach weiter, streicht, verschiebt, füllt an und so weiter. Und das machen wir auch ohne diese Änderungen-verfolgen-Funktion. Wir vertrauen uns da gegenseitig total. Dann geht es wieder in die Dropbox, dann geht die erste wieder ran, dann wieder die zweite, und meistens sind wir danach erst mal durch. Antje hat irgendwann mal ausgerechnet, dass jede von uns jeden Satz mindestens zehn Mal bearbeitet. Das heißt, alles ist von uns beiden geschrieben.

Kannst Du mit anderen Autor*innen auch so gut zusammenarbeiten? Tania: Nein,ich glaube nicht, dass ich mit anderen so gut schreiben könnte. Ich habe das schon versucht. Ganz oft stehen sich Egos im Weg. Das ist auch nicht so oft, dass man jemanden trifft, der genauso gerne ein gutes Buch machen will wie Antje und ich. Dass das gute Buch also über allem steht. Weißt du, keine von uns will eigene Befindlichkeiten durchsetzen, besonders toll da stehen oder dem Buch ihren eigenen Stempel aufdrücken. Manchmal streicht Antje, was ich liebe, weil sie findet, dass es zu sehr Tania und zu wenig Ella ist. Und ich streiche Dinge, die aus meiner Sicht typisch Antje und überhaupt nicht Ella sind. Und das ist für uns beide okay. Ich glaube, wir haben da eine eigene Stimme gefunden. Und wir können beide sehr gut kommunizieren, auch wenn wir sehr unterschiedlich sind. Das ist, glaube ich, was ganz Besonderes. Das hat man nicht so oft, und das ist ein super Geschenk.

Wann war Euch klar, dass Ihr nach „Der Schein“ ein weiteres Buch zusammen schreiben würdet? Tania: Spätestens, als wir den Vertrag zu „Der Schein“ unterschrieben. Der Verlag hatte den Wunsch, Ella Blix als Autorin aufzubauen – und nach der rundum positiven Erfahrung mit „Der Schein“ kam uns das gerade recht.

Wie seid Ihr auf die Idee zu „WILD“ gekommen? Antje: Irgendwie kommen wir nicht auf die Ideen, sondern die Ideen kommen zu uns … Weißt du, es ist seltsam, aber manche Themen liegen vielleicht in der Luft. Uns war irgendwann klar, dass wir einen Roman schreiben möchten, der in der Natur spielt. Auch hier kommen wieder Gemeinsamkeiten zum Tragen: Wir lieben beide die Natur, haben jeweils beide eine kleine Hütte im Wald, leben beide vegetarisch, interessieren uns für Tierrechte usw. – Es war, glaub ich, nur eine Frage der Zeit, dass wir auf so ein Thema gekommen sind, das uns beide gleichermaßen fasziniert hat.

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Zweitling: „WILD – Sie hören Dich denken“ erschien am 27. Mai 2020

 

Wie lange habt Ihr daran geschrieben? Tania:Wie schon beim „Schein“ mehr als ein Jahr. Plus die Lektoratsphasen und alles, was dazu gehört. Wir sind ja beide sehr viel auf Lesereisen, die Chance auf echte Regelmäßigkeit und konsequentes Schreiben ist klein.

Antje: Ich muss hinzufügen: ICH finde das schnell! Wenn ich als Single-Autorin ein Buch schreibe, dauert das doppelt so lange. Tania ist disziplinierter als ich. Mir tut es gut, gepusht zu werden. Ich hoffe nur, dass Tania nicht irgendwann die Nase voll hat von mir Schnecken-Autorin.

Tania: Never! Schnecken sind toll.

Inwiefern hat sich die Arbeit an „Wild“ zu der am „Schein“ unterschieden?       Tania: „Der Schein“ haben wir vollkommen ins Blaue hinein geschrieben – ohne Vertrag oder irgendwelche Deadlines. Dafür mit viel Spaß und einem spielerischen Gefühl. Dieses Mal hatten wir schon einen Vertrag, bevor wir begonnen haben, damit ging eine Deadline einher und wir haben uns ein bisschen verschätzt. Erstens mit unseren eigenen Kapazitäten und zweitens mit dem Stoff, der größer und größer wurde.

Antje: Wir hatten in dem Jahr beide irre viele Lesereisen, mehr als sonst. Und natürlich ist es bei so einem straffen Plan extrem schrecklich, wenn man zusätzlich noch krank wird … Kurz und gut, es kam viel zusammen und dadurch hat alles länger gedauert, als wir ursprünglich dachten.

Musste deswegen auch der Erscheinungstermin verschoben werden? Ursprünglich sollte das Buch ja schon im März erscheinen… Tania: Ja.

Hattet/habt Ihr bei Eurer gemeinsamen Arbeit verschiedene Zuständigkeiten und wenn ja, welche sind das? Antje: Also grundsätzlich kann man sagen: Von uns macht jede alles. 🙂 Wir teilen weder Figuren noch Kapitel auf, sondern jede schreibt an allem. Aber allein durch unsere verschiedenen Stärken und Vorlieben passiert es natürlich, dass wir bestimmte Dinge in unterschiedlichem Maße aufteilen. So plottet eine von uns lieber als die andere. Und die andere hat kein Problem damit, mit diesem Plotplan einfach loszuschreiben und den Erstentwurf für ein Kapitel zu machen. Das machen wir abwechselnd, aber in unterschiedlicher Gewichtung. Wichtig ist uns das Ergebnis und so kommen wir einfach schneller und leichter voran.

Trefft Ihr Euch oft? Antje: Wir versuchen, uns zu treffen, wann immer es möglich ist. Das ist aber leider nicht oft, vielleicht zweimal im Jahr. Wenn wir zusammen auf einer Jugendliteraturwoche sind, dann nehmen wir uns auch mal ein Abend für uns. Hin und wieder telefonieren wir, aber das meiste läuft digital ab.

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(Foto: Carina Nitsche) Antje Wagner und Tania Witte erhielten für das Jahr 2020 gemeinsam eines der renommierten Werkstipendien des Deutschen Literaturfonds, der sich der „Spitzenförderung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur“ widmet.

Tania, Du hast mir erzählt, dass es ursprünglich noch eine weitere Figur geben sollte. Wer wäre das gewesen und warum habt Ihr sie herausgenommen? Tania: Das war Noomis Bruder Jakob. An einem bestimmten Punkt wurde uns klar, dass wir die Handlungsstränge vereinfachen müssen. Dem ist Jakob zum Opfer gefallen.

Antje: Wir hatten einen ca. 350-Seiten-Roman angepeilt und dem Verlag das auch so angekündigt. Jakobs Geschichte hätte die Seitenzahl total gesprengt. Verlage verlassen sich aber auch auf unsere Vorgaben und rechnen das auch in die Produktionskosten ein. Manchmal kommt es also auch aus textexternen Gründen zu solchen Entscheidungen.

Es geht im Buch ja auch um verschiedene naturwissenschaftliche Aspekte, zum Beispiel die Funktion des Gehirns, um Schallwellen usw. Hattet Ihr dieses Wissen schon oder habt Ihr Euch das für das Buch angeeignet? Tania: Teils, teils. Im Laufe seines Lebens sammelt ja jeder Mensch ein solides Halbwissen, da dann zu graben und sich reinzuvertiefen, hat wirklich Spaß gemacht: Vor allem Antje hatte irren Spaß bei der Entwicklung unserer höchsteigenen Version der Chaostheorie.

Antje: Wir haben uns hier fantastisch ergänzt. Ich hab mich schon immer für Biologie/Physik interessiert und Tania hat zum Beispiel ein in meinen Augen echt cooles Technikverständnis. Verschränk das, und heraus kommt … was wir hier leider nicht erzählen können … Spoilergefahr.

Zu welchen Themen habt Ihr konkret recherchiert? Tania: Das ist ein bisschen schwer zu sagen, ohne zu viel über das Buch zu verraten. Wart mal: Also, die Chaostheorie natürlich und Schall, hast du ja schon gesagt. Aber auch Forschungen zu … hm, wie sag ich das, ohne zu spoilern? Tierversuchen, vielleicht? Dann natürlich Gruppendynamiken, Strafrecht, Lehramt, die Flora und Fauna der Sächsischen Schweiz, Tiere, Tiere, Tiere und und und.

Antje: Die Bedeutung der Elektrizität für das Entstehen von Leben. Hat mich schon lange fasziniert … Und ganz praktisch: Wie restauriert man Holzhütten? Welche praktischen Arbeiten macht man in einem Waldcamp? Wie funktioniert gruppentherapeutische Betreuung?

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Antje Wagner hat vier Solo-Jugendbücher veröffentlicht, darunter „Hyde“ (2018) und „Unland“ (2009). Antje schreibt aber auch für Erwachsene. Manchmal benutzt sie dafür das Pseudonym Laura Lay

Es gibt einige Stellen im Buch, aus denen sehr viel Liebe zum Wald spricht. Welchen persönlichen Bezug habt Ihr zum Wald? Tania: Ich liebe den Wald. Bäume faszinieren mich, aber ich hab auch ein echtes Faible für Pilze (ohne allzu viel über sie zu wissen). Ich mag am Wald den Geruch, den Schutz, die Macht, und das Urtümliche daran; dass alles wächst und der Mensch egal ist. Dass es mir vor Augen führt, wie wenig wir wissen. Ist übrigens beinahe das gleiche Gefühl, das mich mit dem Meer verbindet.

Antje: TANIA, DU FINDEST PILZE AUCH SO INTERESSANT?! Die dritte Lebensform – nicht Tier und nicht Pflanze. Da muss ich dir unbedingt von etwas erzählen, woraus man vielleicht ein Buch machen könnte.

Tania: Ha! Siehste, Mirai, so funktioniert das!

Antje: Pilze. Ach, toll. Ich hab wie Tania eine große Liebe zum Wald. Schon mein erstes Jugendbuch „Unland“ spielte u.a. im Wald. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst auf dem Land großgeworden bin, meine ganze Kindheit ist von Natur durchzogen. Meine Bücher spielen im Grunde alle größtenteils auf dem Land.

Tania: Und meine, trotz Landliebe, bisher alle überwiegend in der Stadt. Interessant …

Warum habt Ihr das Buch in der Sächsischen Schweiz angesiedelt? Es hätte ja auch im Harz, in den Alpen, im Schwarzwald oder Thüringer Wald spielen können… Antje: Ich fand es toll, dass das Buch im Osten angesiedelt ist, wo nicht allzu viele Jugendbücher spielen, wenn man jetzt mal einige Großstädte rauslässt. Und der Thüringer Wald war schon weg, weil ich dort meinen eigenen Jugendroman („Hyde“) hab spielen lassen. Die Sächsische Schweiz war für uns beide sehr spannend. Es gibt da nämlich nicht nur Bäume, sondern auch eine riesige Tierwelt und bizarre Felsformationen. Und Felsen spielen ja eine wichtige Rolle im Buch.

Tania: Außerdem ist es nicht so weit weg von Berlin, woher unsere Protagonist*innen ja kommen.

Seit Ihr zur Vorbereitung auch vor Ort gewesen? Gibt es diesen Ort mit den Blockhütten im Wald wirklich? Antje: Ich war als Kind und Jugendliche öfter in der Sächsischen Schweiz. Und nein, während des Schreibprozesses waren wir nicht vor Ort. Das Camp „Feel Nature“ haben wir uns komplett ausgedacht. Allerdings ist „Feel Nature“ im Buch ja ein ehemaliges FDGB-Ferienheim, also: ein Ferienhaus des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes. Und als jemand, die in der DDR großgeworden ist, kenne ich FDGB-Ferienheime. Die meisten waren aber nicht so grottenhässlich wie das im Buch beschriebene Haupthaus im Wald. 🙂

Die Namen der vier Jugendlichen sind alle eher ungewöhnlich. Warum habt Ihr genau diese ausgewählt und wie habt ihr sie gefunden? Tania: Diesmal war es so, dass jede von uns sich zwei Namen ausgedacht hat. Was eher zufällig passiert ist, wenn ich mich recht erinnere. Noomi stand als erste, den hatte ich vorgeschlagen, weil ich einen hebräischen Namen wollte. Antje fand den gut, und dann hat sie den fantastischen französischen Namen Olympe auf den Tisch geworfen, ich Flix, sie Ryan. So lief es, oder?

Antje: Ja, und dann haben wir uns schlapp gelacht, weil die Figuren zwar alle voll die seltenen Namen haben, aber gegenseitig voneinander denken: Was hat der/die für einen blöden Namen …

Wart Ihr Euch über die Namen und Personen gleich einig oder habt Ihr viel diskutiert? Tania: Nö, diskutiert haben wir nicht. Ich fand Antjes Vorschläge toll. Und dann haben wir ausgehend von den Namen begonnen, die Charaktere zu formen – bzw. eigentlich stehen schon grobe Züge, wenn eine auf Namenssuche geht. Die Charaktere haben wir dann zusammen vertieft, wie immer.

Antje: Und Tania ist in vielen Hinsichten die praktischere von uns beiden. Während ich sage: Diese Figur könnte vielleicht so oder so sein.Oder: Das Camp sieht vielleicht so oder so aus, packt Tania gleich Fotos von in Frage kommenden Personen in die Dropbox und zeichnet Baupläne.

Tania: Stimmt, ein bisschen Moodboard-mäßig. Ich brauch das Visuelle schon, damit ich keine Fehler mache – ich hab nämlich, im Gegensatz zu Antje übrigens, ein sagenhaft schlechtes Gedächtnis.

Die Handlung von „Der Schein“ findet am Meer statt, die von „Wild“ im Wald. Gibt es schon eine Idee für ein neues Projekt und wo wird das spielen? Antje: Im Weltall. 😀 Nein – Scherz beiseite. Wir wissen es noch nicht.

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„Die Stille zwischen den Sekunden“ erschien 2019 bei Arena und ist Tanias erstes Solo-Jugendbuch. Aktuell arbeitet sie am zweiten. 2011, 2012 und 2014 veröffentliche sie eine Trilogie für Erwachsene beim Quer-Verlag.

 

Mir ist aufgefallen, dass alle Schlüsselfiguren in dem Buch weiblich sind. Und fast alle entsprechen oder verhalten sich nicht nach dem typischen Rollenbild. War das von Anfang an so geplant oder hat sich das beim Schreiben ergeben? Ist das auch eine Art Botschaft oder Markenzeichen von Ella Blix? Tania: Naja, wir haben Noomi, die eigentlich viele „typisch weibliche“ Eigenschaften hat. Und Flix, der – bis auf seine Spinnenangst – ein ziemlicher Vorzeigemackertyp ist. Aber du hast recht: Es ist uns wichtig, Gender anders zu beleuchten. Nicht, um krampfhaft ein Exempel zu statuieren, sondern vor allem, um deutlich zu machen, dass niemand eben nur eine Sache ist. Nimm z.B. Ryan: er wirkt schüchtern, zart und ist dabei ein total starker Charakter, wenn es drauf ankommt. Ich glaube, was wir sagen wollen ist: Es gibt mehr, als der erste Blick offenbart. Und okay, ja – ich spreche jetzt mal für mich, aber glaub, Antje sieht das auch so: Ich bin genervt von Klischees, was Weiblichkeit und Männlichkeit angeht, Körperformen und Stereotypisierungen. Ich halte das für eine Einengung, die Menschen daran hindert, in ihre ganz persönliche Richtung zu wachsen. Und die, mit Verlaub, überholt ist. Ich will Diversität. Punkt.

Antje: Ja, mir geht’s da ähnlich. Ich möchte unbedingt auch Mädchen und Jungs zeigen, die nur selten auch mal die Chance bekommen, Hauptfiguren in Büchern zu spielen. Da finden wir dann doch oft die Klischees und das ist so schade, weil dadurch immer ein Rollenbild wiedergekäut wird, was Jungs und Mädchen im Grunde auch eingrenzt. Ich find‘s toll, wenn sich Mädchen und Jungs in unseren Büchern wiederfinden können, die sonst nur selten Identifikationsfiguren haben. Und wenn Mädchen und Jungs, die vorher vielleicht noch nie so richtig darüber nachgedacht haben, auch mal völlig andere Entfaltungsmöglichkeiten für sich selbst entdecken können. 🙂

Welches Buch gefällt euch persönlich besser: Wild oder „Der Schein“? Tania: Also ich mag „WILD“ wirklich sehr. Auch wenn mir gerade noch die Distanz zu fehlt. Ich glaub, wir haben aus den kleinen Schwächen, die „Der Schein“ hatte, gelernt. Auch wenn wir dafür den einen oder anderen Darling killen mussten.

Antje: BEIDE! In meinen Augen ist „Der Schein“ von der Stimmung her etwas witziger und für etwas jüngere Leser*innen geeignet. Wir stellen es in den Schulen ab 6. Klasse vor. „WILD“ ist ernsthafter, das Thema ist vielleicht für etwas ältere Leser*innen passender. Aber wir lassen uns da natürlich auch gern überraschen.

Interessant. Als ich „Der Schein“ gelesen habe, war ich Ende der 6. Klasse. Ich fand das Buch damals ziemlich gruselig. Und emotional. Und das Ende ganz schön traurig, wenn auch nicht völlig hoffnungslos. „Wild“ fand ich dagegen spannend, aber nicht gruselig, und das Ende hat mir gut gefallen. Zum Thema jüngere Leser*innen: Könntet ihr euch denn auch vorstellen, zusammen mal ein Kinderbuch zu schreiben? Antje: Wir denken da tatsächlich drüber nach, haben eventuell auch schon eine Idee. Aber es gibt nur sehr wenige Jugendbuchautor*innen, die tatsächlich auch gute Kinderbücher schreiben und andersrum. Meist hat man eine größere Stärke in einem Bereich. Wir müssen erst einmal schauen, ob wir das überhaupt können. Es ist sehr schwer, ein wirklich gutes Kinderbuch zu schreiben.

Wenn’s kommt, werd ich’s auf jeden Fall lesen!

Vielen Dank für das Gespräch!

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Ein großer Teil des Interviews fand (anders als ursprünglich geplant) per Email statt, weil Tania und Antje wegen der Corona-Pandemie nicht reisen konnten. Einige Passagen stammen aus einem Interview, das ich mit Tania Ende 2019 in Berlin geführt habe.

Rezensionen:

Wild – Sie hören dich denken

„Der Schein“

„Die Stille zwischen den Sekunden“ – Jugendbuch von Tania Witte

„Ich glaube nicht an Happy Ends“  – Solo-Interview mit Tania Witte

Externe Links: 

https://www.ellablix.com

Facebook- Seite von Ella Blix

Mehr Informationen zu Tania Witte unter www.taniawitte.de sowie bei Instagram unter @tania_witte_autorin und bei Facebook unter facebook.com/ taniawitte   und zu Antje Wagner unter http://www.wagnerantje.de / Facebook https://www.facebook.com/Antje-Wagner-1524755244414251/