You don’t look gay

Titel: You don’t look gay – Eine Auseinandersetzung mit homophober Diskriminierung

Autor/ Illustrator: Julius Thesing

Verlag: Bohem

Seiten: 94

Erschienen: 2020

„Heute sind es handgestoppte 23 Sekunden zwischen der Ankunft im Zug und dem ersten Schwulenwitz(Anmerkung des Autors)

„Ich weiß nicht, ob ich mit jemandem noch befreundet sein könnte, der vor meinen Augen einen anderen Mann küsst.“ (Freund des Autors als er noch nicht wusste, dass dieser schwul ist)

„Ich könnte einen homosexuellen Sohn nicht lieben. Ich würde es vorziehen, dass mein Sohn bei einem Unfall ums Leben kommt, als dass er hier mit einem Typen mit Schnurrbart auftaucht.“ (Jair Bolsonaro, seit 2019 Staatspräsident von Brasilien)

➡️ Der Autor und Illustrator Julius Thesing nimmt uns mit in seine Erlebnis- und Gefühlswelt und zeigt auf, wie präsent Homophobie in unserer Gesellschaft noch immer ist. Er nennt viele Zahlen und ihre Quellen, berichtet über sein eigenes Coming-Out (und seine Angst davor), darüber wie es ist, als Schwuler in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein, über die Glücksgefühle bei seinem ersten Besuch einer LGBTQ+-Party, weil er dort feiern konnte, ohne Angst haben zu müssen. Er hat krasse Zitate von bekannten Personen herausgesucht und schreibt über die „Straight Pride Parade“ in Boston 2019, wo Heteros und Heteras (meistens weiß und Trump-Fans) sich und ihre Sexualität feierten – und damit zeigten, dass sie überhaupt nicht verstanden haben, worum es beim Christoper-Street-Day eigentlich geht (auch ums Feiern aber vor allem natürlich um gleiche Rechte). Julius Thesing verschweigt aber auch nicht, dass es auch innerhalb der queeren Szene Homophobie und Ausgrenzung gibt – zum Beispiel gegenüber POC, Leuten mit Mehrgewicht, und Transpersonen –, was besonders tragisch ist.

Zur Optik: Das erste, was an dem Buch von Julius Thesing auffällt: Es ist rosa. Das Cover, die Rückseite, der Buchrücken – und auch die Seiten und der Buchschnitt sind es. Da zweite, was auffällt, sind die Figuren. Die Männer im Buch (Frauen kommen nur in den Texten vor und auch dort nur sehr wenig) haben lange und auffällige Nasen. Manchmal sind die Personen eher klein gezeichnet, manchmal füllt ein einziges Gesicht fast eine ganze Seite aus. Das dritte ist das Layout des Textes: Er läuft in schwarzer Schrift über die Seiten und wird immer wieder durch Absätze mit größeren Buchstaben in roter Schrift unterbrochen. Insgesamt fand ich das Buch abwechslungsreich und übersichtlich gestaltet (unter dem Bild geht’s weiter 👇)

FAZIT: Mich hat das Buch sehr berührt, weil es deutlich zeigt, wie verbreitet Homophobie noch immer ist. Die Sprüche und Witze spiegeln dabei nicht immer Hass oder Ablehnung wider, oft werden sie auch aus Unwissenheit, Unbedachtheit oder für einen schnellen Lacher gemacht. Aber auch das ist schlimm, finde ich.

Das Buch ist übersichtlich gestaltet und die Illustrationen verstärken die Wirkung der Texte noch, machen sie noch einleuchtender.

Ich finde, dieses Buch sollte Stoff in jeder 7., 8. oder 9. Klasse sein, denn gerade an den Schulen (ja, auch den Gymnasien) sind fiese Sprüche und Witze über queere Menschen oft an der Tagesordnung. Nicht immer bleibt es dabei. Manchmal werden zum Beispiel auch Sticker mit Fotos von brennenden Regenbogenfahnen in den Klassen- oder Stufenchat geschickt und somit immer weiter verbreitet …

Was ich ein bisschen schade fand ist, dass Frauen in diesem Buch keine Rolle spielen, außer an einer Stelle als Unterstützerinnen (ein befreundetes Frauen-Paar ermutigte Julius zu seinem Coming-Out). Mich hätte interessiert, zu erfahren, welche Rolle Frauen einnehmen – als Täterinnen, aber auch als Opfer. Oder ist das Problem auf beiden Seiten ein männliches? Ein paar Infos dazu hätte ich gut gefunden. Ich verstehe aber, dass das Buch ein sehr persönliches Projekt ist. Es geht hier um die Erfahrungen und die Perspektive des Autors. Da macht es ja auch so stark.

Ich gebe dem Buch ⭐️⭐️⭐️⭐️ und einen 1/2 ⭐️ und empfehle es ab 12 Jahren.