Die Stille zwischen den Sekunden

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Titel: Die Stille zwischen den Sekunden

Autorin: Tania Witte

Verlag: Arena

Erschienen: 2019

Seiten 296

 

 

Die Geschichte:

Obwohl sie nicht auf die gleiche Schule gehen, sind Mara und Sirîn eng befreundet. Die beiden Mädchen haben sich bei einem Kochkurs kennengelernt und betreiben einen gemeinsamen Kochblog, für den sie sich offiziell jeden Mittwoch bei Mara treffen. In Wirklichkeit kochen sie aber nur jeden zweiten Mittwoch – den anderen gehen sie zusammen in den Skaterpark. Das dürfen die Eltern von Sirîn aber nicht wissen. Sie sind Kurden aus dem Irak und immer in Sorge um ihre Tochter. Eines Tages verpasst Mara nach dem Skaterpark die U-Bahn und läuft zu Fuß nach Hause. Als sie dort ankommt, überschlagen sich die Ereignisse: Zunächst erfährt Mara, dass sie gerade nur knapp einem Anschlag entgangen ist, denn in der U-Bahn, die sie verpasst hat, ist kurz darauf eine Bombe explodiert! Außerdem stellt sich heraus, dass ihre Mutter den Eltern von Sirîn verraten hat, dass die beiden Mädchen gar nicht bei ihnen gekocht haben, sondern im Skaterpark waren. Ergebnis: Sirîn Eltern sind megasauer. Die Freundin kommt am nächsten Tag nicht in die Schule und ist auch über ihr Handy kaum zu erreichen. Mara macht sich große Sorgen. Wollen die Eltern sie etwa in den Irak zurückschicken, sie dort vielleicht sogar verheiraten? Sie textet mit Sirîn hin- und her und versucht immer verzweifelter herauszufinden, was eigentlich los ist.

Am Tag nach dem Anschlag rasselt Mara in der Schule mit Chriso zusammen. Der geht schon in die Oberstufe und wird von den Mädchen umschwärmt. Nicht nur, weil er mega gut aussieht, sondern auch, weil er einen bekannten YouTube-Kanal betreibt. Auch Mara findet ihn cute. Bisher hat er sie kaum beachtet, nun will er plötzlich mit ihr reden und sich mit ihr treffen. Mara ist unsicher: Ist Chriso wirklich an ihr interessiert? Oder wittert er nur eine Story für seinen YouTube-Kanal?

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Meine Meinung:

Schon auf den ersten Seiten entwickelt die Geschichte einen so starken Sog, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte und immer weiter lesen musste. Ich wollte unbedingt wissen, wie es mit Mara und Sirîn weitergeht. Und auch mit Mara und Chriso. Ihre zarte Verliebtheit, die allmählich an Fahrt aufnimmt, hat mir super gut gefallen. Ich konnte aber auch die Not von Mara verstehen. Für das Attentat, dem sie doch nur knapp entkommen ist, scheint sie sich nur wenig zu interessieren. Viel mehr sorgt sie sich um Sirîn und darüber, ob ihre Freundin von den Eltern vielleicht außer Lande gebracht werden könnte. Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass sie sich so wenig für das Attentat interessiert, ich konnte das aber sehr gut nachvollziehen. Schließlich ist Sirîn eine super enge Freundin von ihr, fast so etwas wie eine Schwester. Auch die Situation der kurdischen Eltern von Sirîn ist nachvollziehbar. Man erfährt im Laufe der Geschichte, dass sie im Irak selbst schon Bomben erlebt haben und deswegen traumatisiert sind.

Cool fand ich die Textnachrichten, die zwischendrin immer wieder als Blasen auftauchen und mit denen man den Austausch zwischen Mara und Sirîn – und auch zwischen Mara und Chriso und anderen – verfolgen kann. Sie lockern den Text auf. Dabei wirkten die Inhalte auf mich absolut realistisch und wie von Jugendlichen geschrieben. Christo erschien mir für einen 18-Jährigen allerdings etwas naiv. Glaubt er wirklich, mit seinen Videos etwas bewegen zu können? Und merkt er gar nicht, wie er die Mobbingopfer damit vorführt und so zu ihrem Leid beiträgt oder es sogar noch verstärkt? Etwas schade fand ich auch, dass Neslihan und Meike später in der Geschichte gar nicht mehr auftauchen, zwei Schulfreundinnen von Sirîn, die am Anfang noch eine Rolle spielen. Und auch von Maras Schulfreundin Lyd ist kaum noch die Rede. Andererseits zieht sich Mara ja auch immer mehr zurück. Die Sorge um Sirîn ist für sie das wichtigste Thema, alles andere tritt dahinter zurück. Zwischendrin habe ich mich gewundert, dass Maras Mutter ihr nicht wirklich helfen kann, schließlich ist sie Psychologin. Am Ende habe ich jedoch verstanden, dass auch sie ein großes Päckchen zu tragen hat. Wie eigentlich jede und jeder in diesem Buch…

Mich hat es erstaunt, wie viele unterschiedliche Themen die Autorin angesprochen hat: Terror und Tod, Flucht und Trauma, Freundschaft, Liebe (auch gleichgeschlechtliche) und Social Media. Und trotzdem wirkt die Geschichte nie überfrachtet und alles passt super zusammen!

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Ende. Das ENDE!!! Das hat mich echt umgehauen. Es ist wirklich heftig und bringt noch einmal eine Wende, die man vorher erahnen konnte, aber nicht musste. Mich hat es überrascht und ich war, als ich das Buch fertig gelesen hatte, ziemlich fertig mit den Nerven. Wer Zeit und Lust hat (und dazu in der Lage ist), kann sich das Buch gleich noch ein zweites Mal vornehmen. Mit dem Ende im Hinterkopf liest es sich noch mal ganz anders…

Tania Witte schont ihre LeserInnen nicht. Im Gegenteil: Sie bringt uns ihre Figuren nahe. Sehr nahe. So nahe, dass wir sie persönlich zu kennen glauben und mit ihnen mitfühlen – und am Ende mit ihnen ins bodenlose stürzt. Auch „Der Schein“, das Tania gemeinsam mit ihrer Kollegin Antje Wagner unter dem Pseudonym Ella Blix verfasste,  hat ein trauriges Ende. Ich hätte also vorgewarnt sein sollen… Ich mag es, wenn Bücher mich emotional berühren. Ich mag es aber auch, wenn sie ein gutes Ende haben, denn das hilft mir über traurige oder tragische Passagen hinweg.

Ziemlich sicher werde ich aber trotzdem auch Tanias nächstes Buch lesen. Es lesen müssen. „Die Stille zwischen den Sekunden“ war einfach zu gut!

Ich gebe dem Buch ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ und empfehle es Mädchen und Jungen ab 12 Jahren.

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