Das Buch vom Antirassismus – 20 Lektionen, um Rassismus zu verstehen und zu bekämpfen

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Titel: Das Buch vom Antirassismus – 20 Lektionen, um Rassismus zu verstehen und zu bekämpfen

Autorin: Tiffany Jewell

Illustratorin: Aurélia Durand

Verlag: Zuckersüß

Seiten: 166

Erschienen: 2020

 

Selten hat mich ein Sachbuch so mitgerissen und begeistert, wie dieses. Warum, erkläre ich Euch weiter unten. Vorweg: Das Buch richtet sich sowohl an Menschen, die Opfer von Rassismus sind oder waren, als auch an Menschen, die diesem nicht selbst ausgesetzt sind, aber ihn unbewusst ausüben und an sich arbeiten möchten. Jetzt erzähle ich Euch aber erst mal, wie das Buch aufgebaut ist und worum es darin geht.

„Das Buch vom Antirassismus“ ist in vier große Kapitel geteilt.

  1. Aufwachen: Verstehen und in meine Identitäten hineinwachsen
  2. Das Fenster öffnen: Die Welt verstehen
  3. Meinen Weg wählen: In Aktion treten und auf Rassismus reagieren
  4. Die Tür aufhalten: Sich solidarisch gegen Rassismus einsetzen.

Jedes große Kapitel besteht wiederum aus vier bis sechs Unterkapiteln. Im ersten Teil geht es zum Beispiel darum, sich selbst zu verstehen: Wer bin ich? Welche sozialen Identitäten habe ich? Was ist „Rasse“? Was ist persönlicher Rassismus? Was ist institutionalisierter Rassismus? Im zweiten Kapitel geht es um Vorurteile und darum, die eigene, ganz persönliche Geschichte zu erkennen und anzuerkennen. Wir erfahren Geschichten von rassistischer Unterdrückung, aber auch, wie einzelne Menschen oder auch Organisationen sich dagegen gewehrt haben oder wehren. Im dritten Kapitel geht es darum, wie Betroffene und Beobachtende sich in konkreten Situationen zur Wehr setzen bzw. einschreiten können. Im vierten Kapitel wird dazu angeregt, noch einmal generell über sich und die eigenen Privilegien nachzudenken und zu überlegen, was jede*r einzelne selbst tun kann, um BiPOC mehr Gehör zu verschaffen, an sich selbst zu arbeiten und auf andere einzuwirken.

Tiffany Jewell erzählt sehr viel von sich selbst und ihrer eigenen Familie. So erfahren wir, dass sie einen Schwarzen Vater und eine weiße Mutter hat (weswegen ihr Hauttyp in den USA als light-skinned bezeichnet wird), dass sie Sommersprossen hat und Schokolade liebt, dass sie eine Zwillingsschwester hat und gerne auf der Seite schläft, dass sie extrovertiert ist, optimistisch und widerborstig. All das und noch viel mehr macht sie als Person aus. Und sie erzählt von Dingen, die sie selbst erlebt und beobachtet hat. Zum Beispiel von einer weißen Lehrerin in ihrer Grundschule, die einen Mitschüler (einen Latinx, was ein genderneutraler Begriff für Menschen ist, die oder deren Vorfahren aus Lateinamerika stammen) so lange nicht auf Toilette gehen ließ, bis dieser sich einpinkelte, was alle mitbekamen. Anschließend demütigte ihn die Lehrerin vor der ganzen Klasse, in dem sie ihn lächerlich machte.

Zusätzlich ordnet die Autorin ihre Erlebnisse und Beobachtungen auch immer wieder ein und liefert zusätzlich Zahlen, Informationen und Erläuterungen. Zum Beispiel, dass BIPoC die globale Mehrheit darstellen, weswegen es rassistisch ist, von Minderheiten zu sprechen. Wie Sprache genutzt wird, um diese globale Mehrheit klein zu halten. Oder was mensch unter einer dominanten Kultur versteht und wie diese das Leben und die Sicht auf alle Dinge prägt. Wusstet Ihr zum Beispiel, dass nur 7 Prozent aller neuen Bücher für Kinder und junge Erwachsene von BIPoC geschrieben werden? Oder dass knapp 75 Prozent der Sprecherrollen in Filmen mit Weißen besetzt sind? Ich wusste es nicht. Dabei prägt all das unsere Sicht auf die Welt und trägt zur Unterdrückung bei, deswegen sollten wir uns dessen bewusst werden (und es ändern).

 

Daneben liefert die Autorin auch viele historische Infos und Fakten über die Unterdrückung durch Weiße. Zum Beispiel erfährt mensch, dass die Kinder der Indigenous Americans in den USA bis 1978 hinein ihren Eltern weggenommen und in von ihren Reservaten weit entfernten Internaten unterrichtet und erzogen wurden, damit sie die „us-amerikanische Kultur“ kennenlernten und sich dieser anpassten. Die Werte und Traditionen ihrer eigenen Familien und Vorfahren sollten sie vergessen. Erst seit 1978 (also seit nicht mal 50 Jahren) dürfen Indigenious Americans selbst über die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder entscheiden. Die Beispiele, die Tiffany Jewell liefert, beziehen sich auf die USA, teilweise auch auf Großbritannien und Südafrika. Nur selten gibt es Informationen zu Deutschland oder auch Frankreich wie zum Beispiel beim Thema Kolonialismus. Das fand ich ein bisschen schade, ich hätte gerne mehr über die Situation in Deutschland gelesen. Es ist aber sehr gut nachvollziehbar, dass der Inhalt so ist, denn es ist ein aus dem Amerikanischen übersetztes Buch. Positiv finde ich daran, dass mensch sehr viele Einblicke in die amerikanische Gesellschaft und das Leben von Menschen in den USA erfährt, die nicht weiß sind und damit nicht der privilegierten Gruppe angehören.

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Im hinteren Teil des Buches berichtet Tiffany davon, wie sie selbst gegen Rassismus aktiv ist und liefert viele Beispiele, auch für ihre eigene Entwicklung. Und sie wirft Lösungsmöglichkeiten auf, zum Beispiel für die Situation mit dem Jungen in ihrer Klasse. Damals sah sie nur entsetzt zu. Im Buch gibt sie an, was sie persönlich als Grundschülerin gemeinsam mit ihren Mitschüler*innen und Eltern hätte tun können.

Am Ende jedes der vier Kapitel fordert Tiffany dazu auf, sich Gedanken über das eigene Leben, die eigene Familie, Herkunft und Erfahrungen zu machen und aufzuschreiben. Dadurch wird das Gelesene gleich angewendet und vertieft und mensch erfährt etwas über sich selbst. Das fand ich super, denn es hilft dabei, die eigenen Privilegien zu erkennen und zu verstehen. Die/ der Leser*in wird dabei an die Hand genommen und quasi Schritt für Schritt durch das Buch geführt. Immer wieder erklärt die Autorin mit vielen Beispielen, dann fordert sie dazu auf, sich selbst Gedanken zu machen, über die eigene Situation, die eigene Familie, das eigene Aussehen, eigene Erfahrungen, eigenes Verhalten, und diese Gedanken zu notieren. Dadurch eignet sich das Buch aus meiner Sicht auch super für den Unterricht (Tiffany ist selbst Lehrerin) oder z.B. für die Arbeit in Antirassismus-AGs oder anderen Gruppen von Jugendlichen.

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Im Glossar und auch vorne im Buch werden viele Begriffe erklärt, z.B. BIPoC (steht für Black, Indigenous und People of Color) oder Latinx. Die Autorin erklärt, warum sie Schwarze groß schreibt und weiß klein und kursiv (weil weiß eben nicht nur ein Hautton ist, sondern auch eine gesellschaftlich dominante Machtposition) und dass es falsch ist, BIPoC als Minderheit zu bezeichnen, weil sie nämlich in Wirklichkeit die Mehrheit der Weltbevölkerung stellen und eine kleinmachende Sprache auch rassistisch ist. Und es geht auch viel über den Kolonialismus, an dem auch Deutschland stark beteiligt war und der eine Wurzel des bis heute existierenden Rassismus ist.

Zu erwähnen sind auch die super schönen und sehr farbenprächtigen Illustrationen von Aurélia Durand. Die Sprache ist gut verständlich und gendergerecht, was ich echt super finde vom Zuckersüßverlag.

Fazit:  Dieses Buch war überfällig. Wie gut, dass es jetzt geschrieben und veröffentlicht wurde. Mensch kann durch und mit diesem Buch unglaublich viel lernen. Ich finde, es sollte jede*r lesen, jede Familie und jede Bibliothek sollte es besitzen und im besten Fall sollte es Unterrichtslektüre sein. Ich feiere dieses Buch und die beiden Frauen, die es geschrieben und illustriert haben!

Da Buch bekommt von mir  ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ / ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ und ich empfehle es ab 13 Jahren.

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