Titel: Beate & Serge Klarsfeld – Die Nazijäger
Autoren/ Illustratoren: Pascal Bresson/ Sylvain Dorange
Verlag: Carlsen
Seitenzahl: 206
Erschienen: 2021
Den Namen Beate Klarsfeld hatte ich schon mal gehört, aber was diese Frau grandioses geleistet hat (gemeinsam mit ihrem Mann Serge), davon hatte ich absolut keine Ahnung. Der Comic erzählte die gemeinsame Geschichte der beiden.
Die GraphicNovel beginnt damit, wie Beate zum CDU-Bundesparteitag fährt. Es ist der 7. November 1968 und sie hat einen Plan: Sie will Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger in aller Öffentlichkeit eine Ohrfeige verpassen und ihn als Nazi titulieren, denn Kiesinger war im Dritten Reich Mitglied der NSDAP gewesen (bereits ab 1933) und hatte ab 1940 als Angestellter im Auswärtigen Amt gearbeitet, zuletzt als Stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung. Damit hatte er im Dritten Reich einen hohen Posten inne gehabt. Beates Begleiter will alles fotografieren, die Bilder sollen später an die Presse weitergegeben werden. Der Plan gelingt und obwohl es nur ein Comic ist, habe ich beim Lesen die Spannung gespürt und war selbst aufgeregt…
Die Fotos gehen um die Welt. Doch für Beate und ihren französischen Mann Serge, dessen Vater in Auschwitz ermordet worden war, war dies nur der Auftakt zu etwas viel größerem: Sie wollen Nazis jagen und an die Justiz ausliefern, nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern auch in Südamerika, wohin sich viele ehemalige Nazigrößen geflüchtet haben und dort völlig unbehelligt (und manchmal sogar auch in größerem Wohlstand) leben. Beate ist die treibende Kraft, auch wenn die beiden sehr gleichberechtigt sind (zum Beispiel auch bei der Kinderbetreuung), und extrem mutig. Sie scheut wirklich keine Gefahr! Etwas irritiert hat mich allerdings die Seite, auf der Beate beim Wäschemachen, Staubsaugen und anderen Hausarbeiten zu sehen ist, während ihr Mann auf dem Sofa chillt. An einer Stelle sagt sie auch, das sie froh sei, nun mal so wie andere Frauen sein, und sich um den Haushalt kümmern zu können. Das fand ich echt schade, ich habe die beiden doch so dafür gefeiert, gleichberechtigt zu leben. Andererseits ist das wahrscheinlich auch einfach Ausdruck der damaligen Zeit. Das Frauen die Hausarbeit machten war normal und diese Normalität hat Beate Klarsfeld anscheinend genossen.
Bei diesem Comic zeigt sich, was Graphic Novels im Unterschied zu Büchern können: Sie bringen Geschichten bildlich rüber, aber weil die Töne fehlen und man alles im eigenen Tempo betrachten und auch mal zurückblättern kann, sind sie doch ganz anders. Hinzu kommt: Grausame oder gruselige Szenen sind auf gezeichneten Bildern besser zu ertragen als im Film. Während ich durch die Seiten flog, war mir plötzlich klar, dass Comics wirklich eine Mischform sind aus Buch und Film. Ich wollte immer wissen, wie es weitergeht und habe den Comic trotz der mehr als 200 Seiten in nur anderthalb Stunden durchgesuchtet, ohne ihn auch nur einmal aus der Hand zu legen.
Ein Buch über Beate Klarsfeld hätte ich wahrscheinlich nicht so bald gelesen, darum bin ich total dankbar, diese Graphic Novel gefunden zu haben. Und ich habe durch sie auch viel gelernt: Über die Nazizeit, den Holocaust und wie Nazigrößen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trotz ihrer Biographie und sogar trotz teilweise unvorstellbar grausamer Verbrechen, die sie während des Dritten Reiches und/ oder des Zweiten Weltkrieges begangen hatten, einfach so als normale Bürger*innen weiterleben konnten. In Deutschland und anderswo; und manche bekleideten sogar wichtige Ämter wie Kiesinger.
Beate und Serge Klarsfeld ist es (neben anderen Nazijäger*innen) zu verdanken, dass diese Menschen entdeckt, vor Gericht gebracht und verurteilt wurden. Dazu zählt auch Klaus Barbie, der von 1942 bis 1944 Gestapo-Chef von Lyon war und wegen seiner Grausamkeit als „Schlächter von Lyon“ in die Geschichte einging. Ihn spürte Beate Klarsfeld nach einem Hinweis Anfang der 1970er Jahre persönlich in Bolivien auf. Gemeinsam mit Serge sammelte sie auch wichtige Zeugenaussagen. Die Jagd zog sich über mehr als 15 Jahre hin, aber am Ende war das Paar erfolgreich und er wurde 1987 in Lyon wegen Verbrechen gegen der Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt (Barbie starb 1991 in Haft). Barbie hatte die Deporation von Tausenden von jüdischen Menschen aus Lyon nach Auschwitz (und damit in den sicheren Tod) zu verantworten, darunter war auch der Vater von Serge gewesen. Außerdem hatte er viele Menschen – auch Kinder – persönlich gefoltert. Er trug gerne ein Kätzchen mit sich herum, weswegen ihn viele für harmlos und freundlich hielten. Aber er war ein grausamer Sadist. Das wird aus einigen Bildern im Comic mehr als deutlich (die ich hier aber nicht zeige).
„Beate & Serge Klarsfeld“ ging mir schon sehr nahe. Wie schlimm die Naziverbrechen waren, davon vermitteln die Bilder im Buch schon mehr als eine Ahnung. Ich war oft den Tränen nahe, das hatte ich noch nie bei einer Graphic Novel. Aber ich war auch voller Bewunderung: Was ist Beate Klarsfeld bitte für eine coole Frau??? Sie und ihr Mann leben beide noch (weiterhin in Frankreich), sind inzwischen aber im Ruhestand.
Hinten im Buch gibt es einige Fotos aus der Vergangenheit und auch von heute, von ihr, ihrem Mann Serge und ihren beiden Kindern. Das fand ich super, es ist einfach interessant, sich die Personen nach den vielen gezeichneten Bildern auch noch mal in „echt“ auf Fotos angucken zu können.
Zum Zeichenstil kann ich gar nicht viel sagen. Auffällig ist, dass das ganze Buch in Brauntönen gehalten ist. Rückblicke in die Nazizeit sind schwarz-weiß oder grau-weiß. Die Personen haben klar definierte Gesichter. Während Serge sehr freundlich aussieht hat Beate eine sehr ausgeprägte Nase, was sie sehr streng macht. Darüber habe ich mich etwas gewundert, denn auf den Fotos sieht sie sehr viel freundlicher aus. Klaus Barbie ist seine Grausamkeit und sein Hass auch gut anzusehen. Sehr cool finde ich auch das Cover und die Rückseite. Es zeigt Beate und Serge zu Beginn ihres Kampfes mit ihren damaligen zwei Hunden und einer Schreibmaschine und (auf der Rückseite) heute mit ihren erwachsenen Kindern, Enkel und Enkelin, ihren heutigen zwei Hunden und einem Laptop, aber in der gleichen Haltung: Rücken an Rücken, Hand in Hand.
Fazit: Eine großartige, spannende und wichtige Graphic Novel, die jeder und jede lesen sollten. Vor allem auch die, die meinen, man sollte „endlich mal einen Schlussstrich“ unter die Nazizeit ziehen. Es wäre auch eine super Schullektüre!
Ich gebe dem Buch ⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ und empfehle es ab 14 Jahren, denn manche Bilder sind schon heftig.